„Die größte Herausforderung in einer leitenden Position ist man selbst“
Sie sind talentiert, aber gestresst und nicht selbstsicher genug, schon allein deshalb können unsere Führungskräfte nicht das meiste aus sich herausholen. Ihr Führungsstil ist oft nicht authentisch, was zu Energieverlust, Frustration und Burnout führt – das und vieles mehr stellt sich aus der von Innermetrix durchgeführten Untersuchung heraus, bei der dreitausend Topmanager:innen befragt wurden.
Das internationale Forschungsprojekt von Innermetrix hat das Leistungspotenzial von insgesamt 3000 Topmanager:innen aus drei Ländern – Ungarn, Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika – analysiert. Untersucht wurden dabei unter anderem Führungsstil, Motivation und Begabung der Teilnehmenden. Das ist die größte weltweite Studie der letzten Jahrzehnte über die Eigenschaften internationaler Führungskräfte.
„Die wichtigste Erkenntnis der Untersuchung ist – und das hatten wir bereits geahnt –, dass es im Hinblick auf die Persönlichkeit der Führungskräfte unter den einzelnen Kontinenten eigentlich keinen Unterschied gibt. Betrachtet man die Untersuchung aus dem Blickwinkel der angestellten Personen, dann erhält man überall ein Bild, das einen nachdenklich macht: Wir werden von einer hektischen, oft frustrierten und stark gestressten, mit sich selbst nicht in Harmonie lebenden Führungsschicht gesteuert. Von Führungspersönlichkeiten, die – obwohl sie fachlich meist hervorragend sind – in ihrer Kommunikation sehr zurückhaltend auftreten und so an natürlicher Motivations- und Überzeugungskraft verlieren“, sagt Maximilian Peter Malchiner, ein internationaler Experte für Führungskräfte-Entwicklung, Coach für Persönlichkeitsentwicklung und mentales Training sowie in mehreren Ländern Geschäftsführer von Innermetrix.
Führungskräfte verlieren leicht ihre Stabilität
Das Unternehmen Innermetrix hat in den vergangenen Jahren in 35 Ländern mit viereinhalb Millionen Menschen zusammengearbeitet. In den drei Ländern, in denen die Untersuchung durchgeführt wurde, hat man jeweils 1000 Führungskräfte ausgesucht, ungefähr zu gleichen Teilen aus den Bereichen Telekommunikation, Pharmazie, Automobilproduktion, IT sowie Gesundheitswesen, jeweils zur Hälfte Männer und Frauen.
In dem Forschungsprojekt wurden die Führungspersönlichkeiten auf drei Ebenen untersucht. Erstens im Hinblick auf die Führungswirkung – dieser begegnen die Arbeitnehmenden Tag für Tag. Zweitens mit Blick auf die Motivation als Führungskraft, angefangen von dem Punkt, ob die untersuchte Person überhaupt in führender Position tätig sein möchte, bis hin zu den Schritten, die sie im Interesse ihres Erfolgs unternimmt, und dem persönlichen Antrieb. Der dritte Aspekt hingegen umfasst die intuitive Begabung in den Bereichen des empathischen, praktischen und systemischen Denkens.
Bei der Untersuchung des Verhältnisses der Führungskräfte zu ihren Kolleg:innen stellte sich heraus, dass der Führungsstil statt auf einer Annäherung häufig eher auf Distanz und Sachlichkeit aufbaut. „Wir haben beobachtet, dass das Stabilitätsbedürfnis der Führungskräfte in der Tat hoch ist, damit ist gemeint, dass sie keine Veränderungen mögen, während wir in einer Welt leben, die eindeutig Veränderung erfordert. All das zusammengenommen zeichnet sich ein interessantes Bild ab. Die Führungskräfte von heute verlieren leicht an Stabilität, da sie mehr Veränderungen und Herausforderungen erleben, als ihnen angenehm wäre. Das kann zu psychischen und körperlichen Symptomen führen, beispielsweise zu einem Burnout“, beleuchtet der Fachmann.
Bei der Erforschung der Motivationen kam ans Tageslicht, dass die ungarischen und deutschen Manager:innen weniger konkurrieren und erfolgsorientiert sind als ihre US-amerikanischen Kolleg:innen. Ihre Führungsmotivation baut viel eher auf Wissen und Individualismus auf, während sie eine geringere Begeisterung zeigen, was die Führungstätigkeit an sich angeht.
Die Begabung ist da, doch das allein reicht nicht
Bei der Untersuchung der Begabung stellt das Forschungsprojekt von Innermetrix fest, dass die Führungskräfte in allen drei untersuchten Ländern moderat oder sehr hoch begabt sind, das Talent zur Führungstätigkeit besitzen, was jedoch nicht immer durch die Motivation und vor allem das Verhalten unterstützt wird. Die ungarischen Führungskräfte haben sowohl die empathische als auch die praktische Dimension betreffend herausragend gute Werte erreicht, doch bleiben sie im Hinblick auf das systemische Denken etwas hinter ihren deutschen und amerikanischen Kolleg:innen zurück.
Es ist bei der Untersuchung des inneren Mindsets, jener Dimensionen also, die die Führungskräfte von sich selbst bilden, zu erkennen, dass sie zwar an sich über gute Fähigkeiten zur Problemlösung verfügen und auch ihre empathischen Fertigkeiten als gut bezeichnet werden können, sich selbst jedoch überanstrengen und nicht fähig sind, Zufriedenheit und Glück zu empfinden. Eine sehr spannende Entdeckung im Rahmen der Untersuchung ist, dass die Mehrheit der Führungspersönlichkeiten sich mit den eigenen Ergebnissen nicht zufriedengibt, ständig frustriert ist und deshalb in einem fort nach immer neuen Herausforderungen strebt. Wurde ein Ergebnis erzielt, ist man nicht fähig zur Freude, sondern sucht sofort nach der nächsten Aufgabe. Somit ist das Leben dieser Führungskräfte von ständigem Stress gekennzeichnet, den sie dann natürlich auch an ihr Umfeld weitergeben. Nach Ansicht von Maximilian Peter Malchiner kann eine Führungspersönlichkeit, die über eine solche Charakteristik verfügt, kein Glück empfinden, was sie ihren Mitarbeitenden auch vermittelt und damit möglicherweise eine gesellschaftliche Kettenreaktion in Gang setzt.
„Wir sind unter anderem zu einer sehr interessanten Feststellung gekommen: Das Selbstvertrauen ist unabhängig von Land und Geschlecht; im Vergleich zu den Durchschnittsbürgern ist das Niveau als gut zu bezeichnen, allerdings reicht es nicht dazu aus, dass jemand als Führungskraft hundert Prozent aus sich herausholt“, sagt Maximilian Peter Malchiner. „Was das Rollenbewusstsein angeht, gibt es interessanterweise bereits relevantere Abweichungen, so ist das Bild bei den ungarischen Führungskräften ein pessimistischeres, das heißt, sie sind sich häufig nicht sicher, ob sie die richtige Rolle für sich gefunden haben. Wenn eine Führungskraft jedoch nicht wirklich an ihre Rolle glaubt, dann beeinflusst das auch die Leistung.“
Leadership ist mehr als Fachwissen
„Wenn man mich fragt, was die größte Herausforderung für eine Führungskraft ist, dann antworte ich immer: sie selbst. Viele gelangen nicht aufgrund ihrer Führungskompetenzen in leitende Positionen, sondern werden wegen ihrer herausragenden fachlichen Qualitäten befördert, und es stellt sich erst später heraus, dass die Führungstätigkeit von sehr viel mehr und vor allem von etwas ganz anderem handelt, dem aber können sie nicht mehr gerecht werden. Wenn jemand seiner Persönlichkeit nach eher Harmonie und Stabilität braucht, den Menschen gegenüber jedoch mit Begeisterung ständige Veränderung vermitteln muss, also etwas repräsentiert, was nicht in ihm persönlich steckt, dann hat das eine überaus sonderbare Dynamik zur Folge“, erklärt der Leiter des Forschungsprojekts.
Die Erfolgsformel
Schon die Daten an sich, die Innermetrix erheben konnte, sind vielsagend, doch ein wirklich komplettes Bild erhält man mit jener Zusammenfassung, die zeigt, wie die Topmanager:innen ihren Zustand ändern und verbessern könnten.
„Das Ziel eines jeden Menschen ist grundlegend, glücklich zu sein. Die Führungskräfte müssen darin unterstützt werden, dies zu erreichen. Sie sind begabt, wissen häufig aber nicht, zu welchem Mittel sie greifen sollen. Sie werden vom Strom mitgerissen. Dazu muss in einem ersten Schritt die Selbsterkenntnis stärker gefördert werden, damit sie sich ihrer inneren Werte bewusst sind. Die Erfolgsformel ist sehr einfach: »Erfolg ist gleich Leistungspotenzial minus Störfaktoren«. Wenn man sich darüber im Klaren ist, kann man anfangen, sich bewusst mit dieser Aufgabe zu befassen. Führungskräfte müssen langfristig auch solche wichtigen Fertigkeiten fördern, wie beispielsweise die Fähigkeit zur Achtsamkeit oder die aktive Aufmerksamkeit: Man kann lernen, wie man seine Energien aktivieren oder sie drosseln beziehungsweise sich selbst beruhigen kann, wenn man überdreht ist. Man kann und muss zahlreiche Dinge lernen, denn als Führungspersönlichkeit muss ich von mir selbst wissen, wie ich bin und was ich angesichts dessen tun sollte, um kein Burnout zu bekommen, wie ich mich entschleunigen muss, um dem Druck standzuhalten und um meine Reaktionen zu ändern“, so Maximilian Peter Malchiner.